Rechnungslegung in der Schweiz

Das Rechnungslegungsrecht ist unter dem 32. Titel des Obligationenrechts in den Artikeln 957 folgende kodifiziert. Die Bestimmungen sind für Sachverständige gut leserlich und strukturiert abgehandelt.

Detailfragen müssen teils durch die Praxis, unter Berücksichtigung der allgemein geltenden Regeln / Prinzipien, beantwortet werden. Es handelt sich so um ein Minimalgesetz mit Praxisspielraum für die weitere Entwicklung. Ein wesentlicher Unterschied zu anderen Standards, wie z.B. Swiss GAAP FER, besteht in der ausdrücklichen Möglichkeit stille Reserven bilden zu können.

Stille Reserven sind in der schweizerischen Bilanzierungspraxis historisch auf "dauerndes Gedeihen des Unternehmens oder auf die Verteilung einer möglichst gleichmässigen Dividende" (vgl. Art 663 OR 1936) ausgerichtet. Im heutigen Gesetz ist die Bildung immer noch möglich aber eingeschränkt und an verschiedene Offenlegungsvorschriften gebunden. Auch wenn die stillen Reserven wegen Verfälschung des Bilanzbildes immer wieder kritisiert werden, erlauben diese in der Praxis eine gewisse "Nachhaltigkeit" zu schaffen. Der ganz grosse Teil der KMU-Unternehmer ist "auf das dauernde Gedeihen" ihres Unternehmens ausgerichtet. Kurzfristige Gewinnoptimierung und hohe Löhne sowie Boni stehen nicht im Vordergrund. Der Ansatz hat sich bewährt. Gut geführte Schweizer KMU's dürfen als krisenresistent bezeichnet werden.

Die Vorschriften gelten für alle Gesellschaften und Organisationen des Privatrechts. D.h. insbesondere für Einzelunternehmen, Personengesellschaften und juristische Personen. Die anzuwendenden Vorschriften variieren nach wirtschaftlicher Bedeutung des Unternehmens (Umsatzerlös, Bilanzsumme, Anzahl Mitarbeitende). Die früheren Bestimmungen zur Rechnungslegung unter dem Aktienrecht (Art. 662a ff OR) sind weggefallen. Mit der Aktienrechtsreform 2023 sind die Bestimmungen von Art. 670 OR in Art. 725c OR verschoben worden. Ebenfalls wurden mit der Reform 2023 die Artikel 663bbis und 663c aufgehoben (Transparenzgesetz). Die Vergütungen an das oberste Kader bei Publikumsgesellschaften müssen nicht mehr im Anhang zur Bilanz oder Jahresrechnung enthalten sein sondern werden im separaten Vergütungsbericht gemäss Art. 734ff OR offengelegt. Mit der Aktienrechtsreform 2023 erfolgten Anpassungen im Rechnungslegungsrecht:

  • Ergänzung Art. 958b Abs. 3; bei Ausübung und Möglichkeit des Verzichts auf zeitliche Abgrenzungen (nur bei Nettoerlös oder Finanzerträgen bis CHF 100'000 möglich) und Fremdwährungsabschluss wird präzisiert, dass bei Ausgaben und Einnahmen bei der Fremdwährung Jahresdurchschnittskurse für den Abschluss in CHF massgeben sind.
  • Ergänzung Art. 958e Randtitel und Abs. 3 OR; Schliessung / Klarstellung Lücke bei Informationspflicht im Bereich Veröffentlichung und Einsichtnahme auf Ebene Einzelabschluss im Falle von möglichen Vereinfachungen bei der Präsentation der Jahresrechnung auf Ebene juristischer Einheit. Dies betrifft grössere Unternehmen, wo bereits eine Konzernrechnungen nach einem anerkannten Standard erstellt wird (Art. 961d Abs. 1 OR), grundsätzlich börsenkotierte Unternehmen - oder grosse Genossenschaften und Stiftungen mit Pflicht zur ordentlichen Revision - mit Konzernrechnung nach einem anerkannten Standard (Art. 962 Abs. 3) oder wenn explizit eine Befreiung von der Pflicht zur Erstellung einer Konzernrechnung vorliegt (Art. 963a Abs. 1 Ziff. 2 OR).
  • Anpassung Art. 959a Abs. 2 Ziff. 3 Bst. d-g OR; die freiwillige Gewinnreserve wird als solche präzisiert und vom Gewinn- oder Verlustvortrag getrennt. Weiter wird der Jahresgewinn oder Verlust ebenfalls direkt in der Bilanz ersichtlich ausgewiesen.
  • Präzisierungen und Ergänzung bei Art. 959c OR; auch bei einer Abberufung (nicht nur bei Rücktritt) der Revisionsstelle müssen die Gründe im Anhang angegeben werden. Der Anhang muss Angaben zu Kapitalerhöhungen und Kapitalherabsetzungen, die der Verwaltungsrat innerhalb eines Kapitalbands vorgenommen hat, enthalten.
  • Neuer Art. 960f; ein Zwischenabschluss ist vollumfänglich nach den Vorschriften zur Jahresrechnung zu erstellen und beinhaltet so alle Teile der ordentlichen Jahresrechnung. Vereinfachungen und Verkürzungen sind möglich.
  • Strukturierung Art. 961d Abs. 1; Erleichterungen im Bereich zusätzliche Angaben im Anhang zur Jahresrechnung, Geldflussrechnung und Lagebericht im Falle wo eine eigene Konzernrechnung nach anerkanntem Standard erstellt wird oder das Unternehmen Teil einer Konzernrechnung (als konsolidiertes Unternehmen) nach anerkanntem Standard ist.
  • Anpassung Art. 963a Abs. 2 Ziff. 2 und Ersatz Abs. 3 OR; eine Konzernrechnung ist dennoch zu erstellen, wenn 20% (nicht 10%) der Vereinsmitglieder dies verlangen. Wegfall Inhalt Absatz 3, da durch Art. 958e OR abgedeckt. Absatz 3 regelt dafür den Umrechnungskurs (bei Fremdwährungsabschluss) zur Bestimmung der Schwellenwerte gemäss Absatz 1 Ziffer 1 des gleichen Artikels.
  • Ergänzung neue Artikel 964a-l OR zur Transparenz über nicht finanzielle Belange und Transparenz bei Rohstoffunternehmen.

Hauptziel der Rechnungslegung ist die wirtschaftliche Lage des Unternehmens so darzustellen, dass sich Dritte ein zuverlässiges Urteil über die Vermögens- und Ertragslage des Unternehmens bilden können. Grundlage der Buchführung und Rechnungslegung bilden die allgemein anerkannten Grundsätze zur Ordnungsmässigkeit.

Für grössere Unternehmen, die in zwei aufeinander folgenden Jahren mindestens zwei der Kriterien:

  • Bilanzsumme von 20 Millionen Franken;
  • Umsatzerlös von 40 Millionen Franken;
  • 250 Vollzeitstellen im Jahresdurchschnitt;

erfüllen und so auch der ordentlichen Revision unterstellt sind, gelten zusätzlich folgende Bestimmungen:

  • Erstellung eines "Lageberichts", welcher als schriftlicher, qualitativer Kommentar zum Geschäftsverlauf und zur wirtschaftlichen Lage des Unternehmens zu verstehen ist;
  • Erstellung einer Geldflussrechnung;
  • Ausführungen zum verzinslichen Fremdkapital und dessen Fälligkeiten im Anhang (Verbindlichkeitsspiegel);
  • Angabe der Honorare der Revisionsstelle für Revisions- und andere Dienstleistungen.

Wenn auf oberer Stufe (Mutter- oder Konzerngesellschaft) ein Konzernabschluss erstellt wird, kann auf die erweiterten Angaben im Einzelabschluss verzichtet werden. Dies aber nur, wenn sich eine Minderheit von mindestens 10% der Anteilseigner (oder 10% der Genossenschafter, 20% der Vereinsmitglieder oder auch jeder Gesellschafter oder jedes Mitglied, das einer persönlichen Haftung oder einer Nachschusspflicht unterliegt) nicht gegen die Erleichterungen ausspricht.

Betreffend Bilanzierung- und Bewertung gelten folgende Grundsätze:

  • Grundsatz der Einzelbewertung bis auf bestimmte Ausnahmen
  • Bilanzierungsfähigkeit von Aktiven ist zwingend, wenn darüber verfügt werden kann (Verfügbarkeit), ein künftiger Mittelzufluss wahrscheinlich ist und der Wert zuverlässig schätzbar ist
  • Verpflichtungen basieren immer auf vergangenen Ereignissen; ein Mittelabfluss ist wahrscheinlich und diese können in ihrer Höhe zuverlässig geschätzt werden
  • Das Vorsichtsprinzip gilt immer, darf aber nicht zu einer willkürlichen Bilanzierung führen; eine zuverlässige Beurteilung der wirtschaftlichen Lage darf dadurch nicht willkürlich beeinträchtigt werden
  • Es gilt das Kostenwertprinzip (Bilanzierung erfolgt grundsätzlich zu Anschaffungs-, bzw. Herstellungskosten)
  • Ausdrücklich zulässig sind "Stille Reserven" zu Wiederbeschaffungszwecken und der Sicherung des dauernden Gedeihens des Unternehmens; diese ergeben sich in der Regel durch überhöhte Abschreibungen und Wertberichtigungen oder den Verzicht auf die Auflösung von nicht mehr benötigten Wertberichtigungen und Rückstellungen
  • Publikumsgesellschaften, Genossenschaften mit mindestens 2000 Genossenschafter sowie Stiftungen, die von Gesetzes wegen zu einer ordentlichen Revision verpflichtet sind, müssen einen Abschluss nach einem anerkannten Standard zur Rechnungslegung vorlegen - z.B. Swiss GAAP FER
  • Für steuerliche Zwecke gilt der Jahresabschluss nach handelsrechtlichen Grundsätzen (steuerliches Massgeblichkeitsprinzip)
  • Das Verbuchungsprinzip gilt ebenfalls im Falle der "umgekehrten Massgeblichkeit", wonach spezielle steuerliche Bestimmungen (z.B. Warendrittel oder Einmalabschreibungen) auch zu handelsrechtlichen Buchungen führen
  • Konsolidierungspflicht besteht bei Unternehmensgruppen, die nach Elimination von gruppeninternen Transaktionen zwei der nachfolgenden Kriterien in zwei aufeinander folgenden Geschäftsjahren erfüllen: Bilanzsumme von mehr als CHF 20 Mio; Umsatzerlös von mehr als CHF 40 Mio; mehr als 250 Vollzeitstellen im Jahresdurchschnitt.


Das Gesetz verwendet den Begriff "Rechnungslegung" auch im Sinne des herkömmlichen Begriffs "Jahresrechnung", welcher ebenfalls verwendet wird. Siehe z.B.: Art. 958d Abs. 2 OR (Vorjahresvergleich), Art. 958e OR (Offenlegung Jahresrechnung und Konzernrechnung), Art. 958c Abs. 1 OR (Anhang der Jahresrechnung), Art. 961 OR (zusätzliche Anforderungen an den Geschäftsbericht), Art. 961a OR (zusätzliche Angaben im Anhang) und weitere.

Das im Jahre 2013 eingeführte komplett revidierte Gesetz war ab 1.1.2015 bzw. spätestens für Jahresabschlüsse endend ab 31.12.2015 anzuwenden. Bei Konzernrechnungen war die Erstanwendung ein Jahr später möglich. Bei Erstanwendung waren die Vorjahreszahlen nicht zwingend anzugeben (Art. 2 Abs. 4 der Übergangsbestimmungen).

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