Rechnungslegung in der Schweiz - Allgemein I

In den Gesetzesartikeln 957 - 958f OR sind die allgemeinen Bestimmungen betreffend Buchführungspflicht, Buchführung, Rechnungslegung (Zweck, Bestandteile der Jahresrechnung, Grundprämissen, Ordnungsmässigkeit, Darstellung), Offenlegung und Aufbewahrung zu finden.

Diese Artikel bilden die Grundlage der handelsrechtlichen Bestimmungen zur Buchführung und Rechnungslegung. Die Artikel gelten für alle Gesellschaftsformen, wobei Einzelfirmen und Personengesellschaften mit weniger als CHF 500'000 Umsatzerlös sowie nicht im Handelsregister eintragungspflichtige Vereine und Stiftungen nur eine Einnahmen- und Ausgaben Rechnung führen müssen.

In materieller Hinsicht gelten die nach ORalt bekannten "Generalnormen"; dies jedoch mit Präzisierungen und Ergänzungen. Das Oberziel von Buchführung und Rechnungslegung ist die wirtschaftliche Lage eines Unternehmens zuverlässig beurteilen zu können.

 

Art. 957 OR

A. Pflicht zur Buchführung und Rechnungslegung

1) Der Pflicht zur Buchführung und Rechnungslegung gemäss den nachfolgenden Bestimmungen unterliegen:
 
  1. Einzelunternehmen und Personengesellschaften, die einen Umsatzerlös von mindestens 500'000 Franken im letzten Geschäftsjahr erzielt haben;
  2. juristische Personen.
2) Lediglich über die Einnahmen und Ausgaben sowie über die Vermögenslage müssen Buch führen:
 
  1. Einzelunternehmen und Personengesellschaften mit weniger als 500'000 Franken Umsatzerlös im letzten Geschäftsjahr;
  2. diejenigen Vereine und Stiftungen, die nicht verpflichtet sind, sich ins Handelsregister eintragen zu lassen;
  3. Stiftungen, die nach Artikel 83b Absatz 2 ZGB von der Pflicht zur Bezeichnung einer Revisionsstelle befreit sind.
3) Für die Unternehmen nach Absatz 2 gelten die Grundsätze ordnungsmässiger Buchführung sinngemäss.

 

Bemerkungen: Es unterliegen alle Unternehmen, unabhängig von der rechtlichen Ausgestaltung, den gleichen Pflichten zur Buchführung und Rechnungslegung. Erleichterungen gibt es für Einzel- und Personenunternehmen sowie nicht gewinnorientierte Vereine und Stiftungen mit einem Jahresumsatz von weniger als CHF 500'000. Bei solchen kleineren Organisationen ist eine "vereinfachte" Buchführung und Rechnungslegung, die jedoch weitreichender ist als die einfache steuerlichen Aufzeichnungspflicht, ausreichend. Der Unterschied zur vollumfänglichen Buchführung und Rechnungslegung liegt primär darin, dass nicht geldflussrelevante Sachverhalte, wie zeitliche und sachliche Abgrenzungen, nicht oder zumindest weniger genau und nur indirekt über die Vermögenslage erfasst werden müssen. Inwieweit diese Erleichterung in der Praxis überhaupt relevant ist bleibt dahingestellt. Für Kleinunternehmen gibt es leicht anwendbare und kostengünstige Buchführungsprogramme, die zwar auf Benutzerebene und bezüglich "Tagesgeschäft" nur einnahme- und ausgabeorientiert geführt werden müssen aber im Hintergrund genau gleich nach der buchhalterischen Doppik arbeiten. So kann in einem weiteren Schritt, z.B. durch einen Treuhänder, leicht ein vollwertiger Buchhaltungsabschluss erstellt werden. Zu beachten ist ebenfalls das Periodizitätsprinzip, das bei der steuerlichen Gewinnermittlung immer gilt und durch Merkblätter und Weisungen der zuständigen Steuerbehörden definiert wird. Faktisch führen diese Weisungen dazu, dass letztendlich gleichwohl zeitlich und sachlich abgegrenzt werden muss. Nichtsdestotrotz kann die Einnahmen und Ausgabenrechnung bei Kleinstunternehmen mit sehr einfachen Verhältnissen eine gute Alternative zur vollwertigen Buchführung und Rechnungslegung sein. Bezüglich Befreiung einer Stiftung von der Revisionspflicht wird auf Art. 83b Abs. 2 ZGB verwiesen, wonach eine Befreiung nur über die Aufsichtsbehörde erfolgen kann. Dies ist möglich bei Stiftungen, deren Bilanzsumme unter CHF 200'000 ist und die nicht öffentlich zu Spenden oder sonstigen Zuwendungen aufrufen. Solche Stiftungen können nur eine Einnahmen- und Ausgabenrechnung führen.

 

Art. 957a OR

B. Buchführung

1) Die Buchführung bildet die Grundlage der Rechnungslegung. Sie erfasst diejenigen Geschäftsvorfälle und Sachverhalte, die für die Darstellung der Vermögens-, Finanzierungs- und Ertragslage des Unternehmens (wirtschaftliche Lage) notwendig sind.
2) Sie folgt den Grundsätzen ordnungsmässiger Buchführung. Namentlich zu beachten sind:
 
  1. die vollständige, wahrheitsgetreue und systematische Erfassung der Geschäftsfälle und Sachverhalte;
  2. der Belegnachweis für die einzelnen Buchungsvorgänge;
  3. die Klarheit;
  4. die Zweckmässigkeit mit Blick auf die Art und Grösse des Unternehmens;
  5. die Nachprüfbarkeit.
3) Als Buchungsbeleg gelten alle schriftlichen Aufzeichnungen auf Papier oder in elektronischer oder vergleichbarer Form, die notwendig sind, um den einer Buchung zugrunde liegenden Geschäftsvorfall oder Sachverhalt nachvollziehen zu können.
4) Die Buchführung erfolgt in der Landeswährung oder in der für die Geschäftstätigkeit wesentlichen Währung.
5) Sie erfolgt in einer der Landessprachen oder in Englisch. Sie kann schriftlich, elektronisch oder in vergleichbarer Weise geführt werden.

 

Bemerkungen: Die Grundsätze ordnungsmässiger Buchführung sind Grundlage für jedes Buchführungs- und Rechnungslegungssystems. Die Zweckmässigkeit lässt Raum für individuelle Ausgestaltung, je nach Grösse und Komplexität des Unternehmens, offen. Es geht primär um organisatorische Vorkehrungen im Prozess, wie z.B. bei der systematischen Erfassung der Geschäftsvorfälle. Immer sichergestellt werden muss der Prüfpfad, d.h. die "Spur" von der Erfassung des Buchungstatbestandes über die Verarbeitung im System bis zur Darstellung in der Jahresrechnung.

 

Art. 958 OR

C. Rechnungslegung > Zweck und Bestandteile
1) Die Rechnungslegung soll die wirtschaftliche Lage des Unternehmens so darstellen, dass sich Dritte ein zuverlässiges Urteil bilden können.
2) Die Rechnungslegung erfolgt im Geschäftsbericht. Dieser enthält die Jahresrechnung (Einzelabschluss), die sich aus der Bilanz, der Erfolgsrechnung und dem Anhang zusammensetzt. Die Vorschriften für grössere Unternehmen und Konzerne bleiben vorbehalten.
3) Der Geschäftsbericht muss innerhalb von sechs Monaten nach Ablauf des Geschäftsjahres erstellt und dem zuständigen Organ oder den zuständigen Personen vorgelegt werden. Er ist vom Vorsitzenden des obersten Leitungs- oder Verwaltungsorgans und der innerhalb des Unternehmens für die Rechnungslegung zuständige Person zu unterzeichnen.

 

Bemerkungen: Durch die Rechnungslegung muss die wirtschaftliche Lage des Unternehmens zuverlässig beurteilt werden können. Dies ist mehr als ein "möglichst sicherer Einblick in die wirtschaftliche Lage des Geschäftes", wie früher in Art. 959 ORalt verlangt. Die Rechnungslegung ist Teil des Geschäftsberichtes, welcher vom Vorsitzenden des Leitungsorgans (bei der AG die Verwaltungsratspräsidentin oder der Verwaltungsratspräsident) und der innerhalb des Unternehmens für die Rechnungslegung zuständigen Person unterzeichnet werden muss (nicht der Treuhänder). Die Zuständigkeit und "Unterschriftenregelung" ist somit gesetzlich vorgegeben, was die Verantwortung entsprechend dokumentiert. Der finanziellen Berichterstattung (als Teil des Geschäftsberichtes) wird ein sehr hoher Stellenwert zugemessen. Ein schriftlicher Jahresbericht, wie in Art. 662 ORalt ist nicht gesetzlich vorgeschrieben. Unternehmen und Organisationen über der KMU-Schwelle müssen jedoch einen Lagebericht erstellen.

 

Art. 958a OR

C. Rechnungslegung > Grundlagen > Annahme der Fortführung
1) Die Rechnungslegung beruht auf der Annahme, dass das Unternehmen auf absehbare Zeit fortgeführt wird.
2) Ist die Einstellung der Tätigkeit oder von Teilen davon in den nächsten zwölf Monaten ab Bilanzstichtag beabsichtigt oder voraussichtlich nicht abwendbar, so sind der Rechnungslegung für die betreffenden Unternehmensteile Veräusserungswerte zugrunde zu legen. Für die mit der Einstellung verbundenen Aufwendungen sind Rückstellungen zu bilden.
3) Abweichungen von der Annahme der Fortführung sind im Anhang zu vermerken; ihr Einfluss auf die wirtschaftliche Lage ist darzulegen.

 

Bemerkungen: Wenn in einer Krisensituation betreffend Fortführungsfähigkeit eines Unternehmens begründete Zweifel bestehen, muss das Leitungsorgan abschätzen und dokumentieren, dass die Fortführung innerhalb der nächsten zwölf Monate möglich ist. Falls dies nicht der Fall ist, kann die Bilanzierung nicht mehr unter der Prämisse Fortführungswerte erfolgen und es muss auf Veräusserungswerte umgestellt werden. Es sind ebenfalls die einschlägigen Bestimmungen betreffend Zahlungsfähigkeit, Kapitalverlust, Überschuldung von Art. 725ff OR zu beachten.

Die Überwachung der Zahlungsfähigkeit eines Unternehmens gehört insbesondere in Krisenzeiten zu den unübertragbaren Aufgaben des Leitungsorgans.

 

Art. 958b OR

C. Rechnungslegung > Grundlagen > Zeitliche und sachliche Abgrenzungen
1) Aufwände und Erträge müssen voneinander in zeitlicher und sachlicher Hinsicht abgegrenzt werden.
2) Sofern die Nettoerlöse aus Lieferungen und Leistungen oder die Finanzerträge 100'000 Franken nicht überschreiten, kann auf die zeitliche Abgrenzung verzichtet und stattdessen auf Ausgaben und Einnahmen abgestellt werden.
3) Erfolgt die Rechnungslegung nicht in Franken, so ist zur Feststellung des Wertes gemäss Absatz 2 der Jahresdurchschnittskurs massgebend.

 

Bemerkungen: Bei der Erfassung von Erträgen (oder Aufwänden) müssen immer auch die zeitlich und sachlich der betreffenden Rechnungsperiode bzw. auf den Abschlussstichtag zuweisbaren Aufwände (oder Erträge) mitberücksichtigt werden. Grundsätzliche Definition von zeitlichen- und sachlichen Abgrenzungen:

Zeitliche Abgrenzung = Verbuchung / Zuweisung der Aufwände und Erträge in die Periode des entsprechenden Ereignisses; dies unabhängig vom effektiven Mittelfluss (Einzahlung oder Auszahlung)

Sachliche Abgrenzung = Zuweisung / Anrechnung der Aufwände an die Erträge, die sich auch daraus ergeben > oder mit den Erträgen (die mit der Leistungserbringung an den Kunden entstehen) müssen auch die entsprechenden Aufwände erfasst werden 

Unternehmen mit weniger als CHF 100'000 Nettoerlös können auf die zeitlichen (nicht sachlichen) Abgrenzungen verzichten. Problematisch dabei kann sein, dass ein Verzicht auf eine zeitliche Abgrenzung zu einer falschen sachlichen Abgrenzung führen kann. Gemäss Swiss GAAP FER Rahmenkonzept handelt es sich bei den zeitlichen Abgrenzungen um die rein zeitraumbezogene richtige Abgrenzung von Aufwand und Ertrag. Kleiner Holding- oder Finanzgesellschaften, welche primär nur Finanzerträge generieren, können somit zu "Cash-Basis" bilanzieren. Betreffend "Nettoerlös" muss angenommen werden, dass dieser mit Umsatzerlös bzw. "Netto-Umsatzerlös" gleichzustellen ist und nicht mit einer Bruttogewinn- oder Deckungsbeitragsgrösse.

Bei Erfassung der zeitlichen und sachlichen Abgrenzungen kann immer auch die Wesentlichkeit abgewogen werden.

Aktienkapital (Art. 621 OR) bei der AG sowie Stammkapital (Art. 773 OR) bei der GmbH dürfen ab 1.1.2023 auch in ausländischer Währung geführt werden (funktionale Währung). Absatz 3 wurde so im Zuge der Aktienrechtsreform 2023 ergänzt.

 

Art. 958c OR

C. Rechnungslegung > Grundsätze ordnungsmässiger Rechnungslegung
1) Für die Rechnungslegung sind insbesondere die folgenden Grundsätze massgebend:
 
  1. Sie muss klar und verständlich sein.
  2. Sie muss vollständig sein.
  3. Sie muss verlässlich sein.
  4. Sie muss das Wesentliche enthalten.
  5. Sie muss vorsichtig sein.
  6. Es sind bei der Darstellung und Bewertung stets die gleichen Masstäbe zu verwenden.
  7. Aktiven und Passiven sowie Aufwand und Ertrag dürfen nicht miteinander verrechnet werden.
2) Der Bestand der einzelnen Positionen in der Bilanz und im Anhang ist durch ein Inventar oder auf andere Art nachzuweisen.
3) Die Rechnungslegung ist unter Wahrung des gesetzlichen Mindestinhalts den Besonderheiten des Unternehmens und der Branche anzupassen.

 

Bemerkungen: Neben den Grundsätzen ordnungsmässiger Buchführung werden auch die Grundsätze ordnungsmässiger Rechnungslegung gesetzlich geregelt. Der Grundsatz der Wesentlichkeit bekommt als eigene Regel mehr Gewicht. Nach Art. 662a ORalt war die Wesentlichkeit der Klarheit eher "untergeordnet". Unternehmerische und branchenspezifische Besonderheiten sind, unter Wahrung des gesetzlichen Mindestinhaltes der Rechnungslegung, bei dieser mit zu berücksichtigen. Die Rechnungslegung muss somit den branchenspezifischen Eigenheiten Rechnung tragen. Die wirtschaftliche Betrachtungsweise (substance over form) hat somit eine gewisse Priorität. Es gilt grundsätzlich immer das Verrechnungsverbot und Bruttoprinzip beim Ausweis von Aufwand/Ertrag und Aktiven/Passiven.

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